Paradigmenwechsel im Computerschach
Folgendes Posting fand im Computerschachforum CSS einigen Anklang, deshalb gebe ich es auch hier wieder.
http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=81299 (17.6.2014)
Ein Hobbykollege stellte fest: "Engines haben überhaupt kein Verständnis."
Da muß ich natürlich anbeißen :-) denn auch hier stellt sich die Definitionsfrage:
Was genau ist (Schach-)Verständnis?
Wenn ich jetzt nicht sehr irre, konnte ein menschlicher Topspieler das letzte Mal vor 18 Jahren ein Rechenmonster in einem hochrangigen Match bezwingen: Kasparov gegen Deep Thought 1996. Und Kasparov selbst war es, der darauf hin dem Computergegner mit den Worten
"It's the performance that counts."
Intelligenz bescheinigte. - Somit wäre er bestimmt der letzte, der heutzutage einen Vorschlag einer Topengine achtlos beseite schieben würde. Und schon gar nicht schwungvoll in eine Ecke schleudern würde. :-)
(Natürlich sprechen wir von künstlicher und nicht von natürlicher Intelligenz, eine Unterscheidung die in manchen Diskussionen fehlt, welche in Folge dessen mitunter einen sinnlosen, unzweckmäßigen Verlauf nehmen können.)
Heute sieht und bewertet eine Engine unter halbwegs guten technischen Bedingungen in einer Sekunde mehr Positionen als Kasparov in seinem ganzen Leben. - Und die statischen Bewertungen sind bestimmt nicht schlecht: Schon vor rund zehn Jahren las ich die Aussage eines Schachprogrammierers und erfahrenen Fernschachspielers, Engines seien positionell auf IM-Niveau. Sehr stark übertrieben war das bestimmt nicht, und die Entwicklung mit dem ganzen Feintuning und allem, ist seither noch deutlich voran geschritten.
Ohne es jetzt genau kalkuliert zu haben, aber zumindest symbolisch - und möglicherweise sogar zu zurückhaltend eingeschätzt - denke ich, daß in einer einzigen TCEC-Enginepartie mehr Stellungen gesehen und bewertet werden, als die gesamte Menschheit es in 500 Jahren Schachgeschichte geschafft hat. Frei nach Frederic Friedel zitiert:
"Durch den enormen rechnerischen Weitblick eines modernen Schachprogrammes entsteht eine neue, eigene Art von Intelligenz."
(Ich glaube ungefähr das sagte er im Vorfeld eines der Fritzmatches gegen Kramnik.)
Ein Hauch von romantischem menschlichen Stolz sozusagen, umweht jeden Moment wo wir uns noch der "Maschine" überlegen fühlen dürfen - und es in einer praktischen Partie zwei, drei Züge später wiederum gar nicht mehr wären. :-) Und auch diese Ausnahmsluft wird jeden Tag dünner. "Pathologische" Schwächen wie mangelnde Festungserkennung oder zu geringes Endspielwissen für manche Konstellationen sollten nicht über die Gesamtsituation hinwegtäuschen. Das sind zwar lästige, aber insgesamt wenig bedeutsame Teilaspekte, obzwar man sich immer wieder gerne darüber amüsiert, oder wie ich öfters darüber meckert.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Nichts liegt mir ferner als menschliche Schachleistungen kleinreden zu wollen, im Gegenteil! Doch es gab einen Paradigmenwechsel: Noch bis vor nicht allzu langer Zeit haben wir Schachprogramme bewundert, wenn sie sehr schwere Meisterzüge und Varianten zu finden in der Lage waren, und zunehmend so stark spielen konnten wie die besten Großmeister. Doch nun bewundere ich Großmeister wenn sie in der Lage sind, so stark und genau zu spielen wie es Engines, z.B. als parallel mitlaufende Kibitze, in Sekundenschnelle demonstrieren. Das ist die Umkehrung der Perspektive, die kennzeichnend für den Erfolg der Schachprogrammierung ist.
http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=81299 (17.6.2014)
Ein Hobbykollege stellte fest: "Engines haben überhaupt kein Verständnis."
Da muß ich natürlich anbeißen :-) denn auch hier stellt sich die Definitionsfrage:
Was genau ist (Schach-)Verständnis?
Wenn ich jetzt nicht sehr irre, konnte ein menschlicher Topspieler das letzte Mal vor 18 Jahren ein Rechenmonster in einem hochrangigen Match bezwingen: Kasparov gegen Deep Thought 1996. Und Kasparov selbst war es, der darauf hin dem Computergegner mit den Worten
"It's the performance that counts."
Intelligenz bescheinigte. - Somit wäre er bestimmt der letzte, der heutzutage einen Vorschlag einer Topengine achtlos beseite schieben würde. Und schon gar nicht schwungvoll in eine Ecke schleudern würde. :-)
(Natürlich sprechen wir von künstlicher und nicht von natürlicher Intelligenz, eine Unterscheidung die in manchen Diskussionen fehlt, welche in Folge dessen mitunter einen sinnlosen, unzweckmäßigen Verlauf nehmen können.)
Heute sieht und bewertet eine Engine unter halbwegs guten technischen Bedingungen in einer Sekunde mehr Positionen als Kasparov in seinem ganzen Leben. - Und die statischen Bewertungen sind bestimmt nicht schlecht: Schon vor rund zehn Jahren las ich die Aussage eines Schachprogrammierers und erfahrenen Fernschachspielers, Engines seien positionell auf IM-Niveau. Sehr stark übertrieben war das bestimmt nicht, und die Entwicklung mit dem ganzen Feintuning und allem, ist seither noch deutlich voran geschritten.
Ohne es jetzt genau kalkuliert zu haben, aber zumindest symbolisch - und möglicherweise sogar zu zurückhaltend eingeschätzt - denke ich, daß in einer einzigen TCEC-Enginepartie mehr Stellungen gesehen und bewertet werden, als die gesamte Menschheit es in 500 Jahren Schachgeschichte geschafft hat. Frei nach Frederic Friedel zitiert:
"Durch den enormen rechnerischen Weitblick eines modernen Schachprogrammes entsteht eine neue, eigene Art von Intelligenz."
(Ich glaube ungefähr das sagte er im Vorfeld eines der Fritzmatches gegen Kramnik.)
Ein Hauch von romantischem menschlichen Stolz sozusagen, umweht jeden Moment wo wir uns noch der "Maschine" überlegen fühlen dürfen - und es in einer praktischen Partie zwei, drei Züge später wiederum gar nicht mehr wären. :-) Und auch diese Ausnahmsluft wird jeden Tag dünner. "Pathologische" Schwächen wie mangelnde Festungserkennung oder zu geringes Endspielwissen für manche Konstellationen sollten nicht über die Gesamtsituation hinwegtäuschen. Das sind zwar lästige, aber insgesamt wenig bedeutsame Teilaspekte, obzwar man sich immer wieder gerne darüber amüsiert, oder wie ich öfters darüber meckert.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Nichts liegt mir ferner als menschliche Schachleistungen kleinreden zu wollen, im Gegenteil! Doch es gab einen Paradigmenwechsel: Noch bis vor nicht allzu langer Zeit haben wir Schachprogramme bewundert, wenn sie sehr schwere Meisterzüge und Varianten zu finden in der Lage waren, und zunehmend so stark spielen konnten wie die besten Großmeister. Doch nun bewundere ich Großmeister wenn sie in der Lage sind, so stark und genau zu spielen wie es Engines, z.B. als parallel mitlaufende Kibitze, in Sekundenschnelle demonstrieren. Das ist die Umkehrung der Perspektive, die kennzeichnend für den Erfolg der Schachprogrammierung ist.
Permanent_Brain - 27. Jun, 13:16